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Ruhe da oben – Kreativität braucht Stille im Kopf

Im Kontakt mit der Natur weitet sich der innere Raum

Wie entstehen ein innerer und ein äußerer Raum, in denen sich trotz hoher Anforderungen nicht Stress, sondern kreative Kraft entfalten?

Die Weltgesundheitsorganisation bezeichnet Stress als die größte Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts. Kinder erleben Stress in der Schule. Studenten klagen über ständig steigende Leistungsanforderungen. Berufstätige sind am Ende einer Arbeitswoche oft so erschöpft, dass das Wochenende zur Erholung kaum ausreicht.

Stress als subjektiv empfundene Belastung hat uns mittlerweile fest im Griff und macht auch vor der Freizeit nicht halt. Wer sich einmal im Takt des permanenten Machens und Tuns verfangen hat, wird auch im Privatleben nicht einfach so entspannen können.

Unsere Muster werden dann schnell zu unseren inneren Antreibern. Wir setzen uns auch in der Freizeit unter Druck, wollen sie möglichst effizient nutzen. Dann hat Leistung plötzlich beim Sport, beim Sex und in der Freizeitgestaltung oberste Priorität.

Einfach mal anhalten

Statt noch schneller zu rennen, täte es gut, kurz innezuhalten. Ob es uns gefällt oder nicht, wir sind nicht wirklich effizient wenn wir, wie in einem Hamsterrad gefangen, durch unseren Alltag taumeln. Von Kreativität und schöpferischem Denken ganz zu schweigen.

Um die anstehenden Herausforderungen unter Stress bewältigen zu können, aktiviert unser Körper eine Alarmreaktion. Er schüttet einen bunten Cocktail an Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol aus. Ist diese Situation kurzzeitig, ist sie völlig unschädlich und ermöglicht Höchstleistungen. Die permanente Überreizung führt jedoch zu einem chronisch erlebten Anspannungs- und Aktivierungszustand, der uns mehr und mehr erschöpft.

Stress ist also nicht grundsätzlich schädlich. Erlebter Dauerstress und fehlende Erholung zwischen den Stressreaktionen hingegen schon. Wie Paracelsus schon wusste: Die Dosis macht das Gift.

Hier gilt: Je stressiger eine Situation oder Herausforderung erlebt wird, desto weniger ist mit kreativen oder schöpferischen Ideen oder Lösungen zu rechnen. Denn die höheren, differenzierten Regionen des Gehirns werden zu Gunsten der Überlebensfunktionen ausgeschaltet. Wir sind dann nur noch in der Lage auf Altbekanntes oder Altbewährtes zurück zu greifen.

Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck schreibt in seinem Aufsatz „Die Kreativität der Achtsamkeit“, dass eine Idee erst dann entsteht, wenn man ihr Raum lässt. So sprechen wir nicht von ‚Ich habe eine Idee gemacht‘, sondern von ‚Mir ist eine Idee gekommen‘. Denn Achtsamkeit schafft genau diesen Spielraum, der das Neue zulässt. Im Alltag tauchen kreative Momente zumeist nur blitzlichtartig auf. Insbesondere kreative Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie diesen Raum höchst wach und bewusst länger offen halten können. Zudem sind sie in der Lage, neue Ideen wieder loszulassen und zu verwerfen. Zwei Fähigkeiten zur Kreativität hält Brodbeck für notwendig. Zum einen die Offenheit für neue Ideen, ohne sich von alten einschränken zu lassen sowie die Fähigkeit, neue Gedanken auftauchen zu lassen, sie zu ergreifen, sie zu prüfen und sie dann auch wieder loslassen zu können. Genau das bedeutet Achtsamkeit: Offenheit, Raum für Neues, nichts festhalten müssen und wieder loslassen können.

Kreativität und schöpferisches Denken brauchen Stille im Kopf

Der Gestresste weiß, dass Gedanken manchmal ganz schön Karussell fahren können. Über die innere Achtsamkeit lernen wir, uns selbst wieder zuzuhören. Erst dann bemerken wir, dass der größte Lärm nicht dort draußen in der Umgebung ist, sondern in unserem Kopf. In der Stille, wenn Handys oder Telefone schweigen, können wir uns wieder selbst zuhören. Das ist eine wichtige Erfahrung. Mit jedem Atemzug auf den wir uns konzentrieren, finden wir in unseren inneren Raum der Ruhe zurück. Hier entsteht jener kreative Freiraum, den Künstler oder Kulturschaffende so dringend benötigen.

Ernst Pöppel, Professor für medizinische Psychologie an der Universität München, beschreibt die Stille als Erholungsreise fürs Gehirn. Wer meditiert, unterbricht nicht nur den Kommunikationsfluss mit anderen, sondern auch den mit sich selbst.

Wann haben Sie sich das letzte Mal gefragt, wo es in Ihrem Alltag Inseln der Ruhe gibt? Manchmal reichen dazu schon zehn bewusst und aufmerksam gelebte Minuten aus um im Hier und Jetzt anzukommen und damit den eigenen Geist zu beruhigen. Zum Beispiel bei einem Waldspaziergang, in dem Sie einfach nur lauschen, oder den weichen Boden unter Ihren Füßen spüren.

Kreativität gedeiht nur in toleranter, angstfreier Umgebung

Und damit sind wir schon bei dem Thema Unternehmenskultur.  So wie Achtsamkeit und Kreativität unbedingt zusammen gehören, sollte auch die Unternehmenskultur Sicherheit vor Abwertung und Geringschätzung geben. Stress und Burnout entstehen erfahrungsgemäß insbesondere dort, wo Menschen nicht wertgeschätzt werden.

Vor einigen Tagen habe ich noch mit einem Team gearbeitet, in dem es keinen wohlwollenden Blick füreinander gab. Im Zweifelsfall herrschte lediglich harsche Kritik aneinander. Sie können sich vorstellen, dass in einem solchen Klima niemand mehr besonders produktiv und schöpferisch sein kann. Jeder schützt sich so gut er nur kann.

Menschen haben ein Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung. Es mag vielleicht ein wenig befremdlich klingen, im Kontext von Organisationen von Liebe zu sprechen.

Aber glauben wir wirklich, dass es eine Trennung von Work und Life gibt? Der beste Schutz gegen Burn-out und Stress ist ein Klima der Wertschätzung und des Vertrauens innerhalb des Teams. Das könnten wir auch den liebevollen Blick aufeinander nennen. Wir können uns entspannen und uns mit dem zeigen, was uns ausmacht.

Wenn es keine Trennung von Work und Life gibt, braucht es höchstwahrscheinlich auch keine Work-Life-Balance. Denn wie oft fällt uns gerade in absolut entspannten Momenten oder in einem inspirierenden Gespräch eine wirklich neue Idee ein? Oder ein völlig neuer Gedanke steigt in uns auf?

Achtsam sein, heißt also aufmerksam sein. Das wahrzunehmen, was gerade ist, ohne es zu bewerten. Es braucht also einen offen Geist, eine offene empfangende Haltung. Im HIER und JETZT, von Moment zu Moment.

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