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Der Dialog stellt unsere mentalen Modelle auf den Prüfstand

Katrin Oppermann-Jopp im Gespräch über den Dialog in Unternehmen, neue Führungsstile und Potenziale für Change-Prozesse

In Unternehmen wird miteinander gesprochen und nachgedacht. Jetzt laden Sie zum „Dialog im Unternehmen“ ein. Was ist daran neu?

Im Dialog nach David Bohm geht es nicht primär um Ergebnisse, sondern darum, die Komplexität eines Themas in der Tiefe zu erforschen. In klassischen Gesprächen gehen wir häufig auf Argumente des anderen ein. Wir debattieren in Rede und Gegenrede. Was am Dialog neu ist, lässt sich am einfachsten durch Bohms Unterscheidung von Thinking und Thought erklären: Weg vom alten erinnerungsgeleiteten Denken, von vorhandenem Wissen und Argumenten, hin zu einem Denken und einer Wahrnehmung, die im Moment entstehen und Neues über die Intuition kreieren.

Bleiben wir im Thought, also im „Altgedachten“, tauschen wir nur Argumente von alten Sichtweisen aus. Wirklich neue Gedanken entstehen so nicht.

Warum brauchen Unternehmen das?

Unternehmen sind aktuell mit großen Herausforderungen konfrontiert. Häufig arbeiten sie noch mit Methoden und Mind Sets des 20. Jahrhunderts. Das Denken in Hierarchien und voneinander getrennten Strukturen hat sich sicher lange Zeit bewährt. Es hat sich allerdings auch stark in unseren Köpfen eingeprägt.

Ein fragmentiertes Denken in „meine“ oder „deine“ Zuständigkeiten sowie in „meine“ oder „deine“ Probleme funktioniert heutzutage nicht mehr. Im Dialog öffnen wir  unsere geistigen Grenzen. Wir lösen unser fragmentiertes Verteilungs- oder Silo-Denken auf. So können wir heute nicht mehr arbeiten. Wir brauchen mehr Tiefe in Gesprächen und ein Verständnis für die Zusammenhänge in einem System.

Wer ist an einem Dialog beteiligt?

Wir brauchen Player aus unterschiedlichen Bereichen, die Teilperspektiven vertreten – wenn möglich vielfältige Teams. Im Dialog gibt es dann keine Hierarchien. Jede Stimme wird gehört. Jede Stimme hat die gleiche Wertigkeit. Wenn Vorgesetzte wollen, dass Menschen Verantwortung übernehmen, dann sollten sie Räume schaffen, in denen sie selbst zuhören. Es gibt heute sehr viel Spezialwissen. Wir müssen die Expertise und die Intelligenz aller nutzen, um komplexe Probleme zu lösen. Der Problemlöser an der Spitze hat längst ausgedient, ist aber in vielen Unternehmen immer noch die idealisierte Leitfigur.

Welche Unternehmen brauchen die Fähigkeit zum Dialog?

Alle Unternehmen sind davon betroffen. Sie sollten erkennen, wie wichtig es ist, das Potenzial aller Mitarbeiter zu heben. Der Dialog als frei fließender Austausch über alle Hierarchieebenen und Abteilungen hinweg wird zur strategischen Kompetenz. Anders wird es für die Unternehmen schwer, dauerhaft zu überleben.

Welchen Effekt hat der Dialog?

Ich erlebe oft, dass eine Gruppe in nur einer Stunde zu Ideen und neuen Perspektiven kommt, die einen wirklichen Durchbruch darstellen. Die Gruppe wächst über sich hinaus. Sie bekommt  Hebel an Probleme, die lange nicht gelöst werden konnten.

Sie begleiten seit mehr als 20 Jahren Unternehmen aus der Industrie. Wann haben Sie diese neue Arbeitsweise für sich entdeckt?

Meine Perspektive hat sich geändert, als ich gemerkt habe, dass viele Probleme nach einer gewissen Zeit an anderer Stelle wieder auftauchen. Ich war unzufrieden damit, nur an den Symptomen arbeiten zu können, nicht aber nachhaltig an Problemen.. Ich habe dann zunächst damit angefangen, meine Arbeitsweise schrittweise zu verändern. Das Tempo in Diskussionen habe ich rausgenommen, darauf geachtet, dass alle wirklich zuhören ohne sofort in die Gegenargumentation zu gehen. Zudem habe ich begonnen mit kleinen Leadership-Teams zu arbeiten. Diese Teams haben schnell gespürt, dass sie eine unglaubliche Kohärenz in der Leitung erzielen können. Auch haben sie erfahren, dass sie abgestimmt in Prozesse gehen, wo sie vorher immer Einzelkämpfer waren.

Wie lernen sie das?

Es braucht am Anfang die Kompetenz, ein Gespräch anders zu führen. Das üben wir in Workshops oder im Rahmen einer Prozessbegleitung. Die meisten Menschen sind in Diskussionen und Debatten geschult, nicht aber im Dialog. Im Dialog will ich den anderen weder überzeugen, noch besiegen. Als Führungskraft lerne ich den Raum zu halten und das Nicht-Tun zu kultivieren. Was nicht gleichbedeutend ist mit nichts tun, sondern auf die Qualität des Gesprächs zu achten und es weniger aktiv voranzutreiben.

Wer diese zusätzliche Kompetenz hat, verändert auch seinen Führungsstil. Wer einmal erlebt hat, was es bedeutet, Meetings auf Augenhöhe zu führen, hört damit nicht mehr auf und wird es als Rückschritt erleben, wieder in die alte Command and Control Haltung zu gehen.

Was müssen Unternehmen dafür zurück lassen?

Unternehmen sollten sich von zu viel Kontrolle verabschieden. Wenn Unternehmen effizienter werden wollen, dann ist es hilfreich bestimmte Bereiche zu entschleunigen. Es geht darum zu experimentieren, wieder neugierig zu sein. Expertise ist wichtig, aber auch den Anfänger-Geist und das Nicht-Wissen zu kultivieren. Leider ist das in vielen Unternehmen nicht so einfach. Sagen Sie mal in einem Meeting „Ich weiß es nicht“.

Wie macht all das erfolgreicher?

Der Dialog ist die einzige Methode, die die mentalen Modelle einer Organisation erforscht. Wir erkennen mit welchen Grundannahmen wir handeln, was wir ohne Überprüfung voraussetzen und in welche Denkfallen wir tappen können. Der Grund warum Change-Prozesse oft nicht greifen ist, dass sie die Annahmen wie wir Dinge tun, nicht wirklich in Frage stellen. Wir verändern Strukturen und Prozesse, beobachten aber nicht unserer Denken. Der Dialog dagegen stellt die mentalen Modelle in Frage. Mit dieser Haltung kann Neues entstehen. Ein anderer Punkt ist, dass die Menschen in der Dialoggruppe sich wertgeschätzt und gesehen fühlen. Auf diesem Humus wächst alles. Dann stimmt auch das Engagement. Mitarbeiter können sich mit dem Unternehmen und mit den Lösungen, die sie selbst entwickelt haben, identifizieren.

Das Gespräch führte Andrea Blome, freie Redakteurin, Münster

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